München – Nur die rauschende Pumpe des Lenkradgetriebes ist zu hören. Der Mercedes-Van hat weder Pedale noch Lenkrad. Joystick und Not-Aus-Knopf stecken in der Mittelkonsole – für alle Fälle. Sonst fährt das Versuchsfahrzeug des Automobilzulieferers ZF autonom, wie von Geisterhand.
Es handelt sich um einen völlig selbstständig fahrenden Wagen der Autonomiestufe 5. Bei Stufe-4-Fahrzeugen steuert ein Computersystem das Auto. Der Fahrer greift nur noch ein, wenn das System ausfällt. Deshalb sind in Stufe-4-Fahrzeugen noch Lenkrad, Pedale oder ein Joystick montiert. Bei Autos der Stufe 5 entfallen die Bauteile.
In ein paar Jahren soll der Traum vom fahrerlosen Auto auf den Straßen Wirklichkeit werden. «Dafür muss das autonome Fahren 100 Mal besser sein als das menschliche Fahren. Es muss absolut sicher sein. Nur dann wird es akzeptiert», sagt ZF-Chef Wolf-Henning Scheider. Vorerst geht es nur auf einem abgesperrten Parcours.
Seltsames Fahrgefühl ohne Lenkrad
Wie ist es, in einem Auto zu sitzen, das gänzlich selbstständig fährt? Es ist zunächst ein seltsames Gefühl, wenn man vorne links sitzt und das Lenkrad fehlt. Das Anfahren würden selbst Fahranfänger feinfühliger hinbekommen, das Bremsen und Lenken ebenso.
Der Roboter-Van ändert abrupter die Geschwindigkeit und gefühlt eckiger die Richtung, als es menschliche Fahrer täten. Dennoch zieht das autonome Auto präzise seine Bahn, bremst vor Hindernissen.
Nach ein paar Runden lässt die Nervosität nach, die Mitfahrer vorne fangen an, auf ihren Smartphones Nachrichten zu lesen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass das Versuchsfahrzeug auf einem abgesperrten Areal und nur rund 20 km/h schnell fährt.
Mit 130 Stundenkilometern über den Freeway
Doch es geht auch schneller. Der Cadillac CT6 mit dem integrierten System «Super Cruise» fährt heute bereits mit bis zu 85 Meilen pro Stunde (rund 137 km/h) über ausgewählte nordamerikanische Freeways.
Per Tastendruck lässt sich die Lenkhilfe aktivieren, der Cadillac erfasst dann Strecke, Linie und Verkehr. Der Fahrer kann die Hände vom Lenkrad nehmen und sich anderen Dingen widmen.
Doch bei so einer hohen Geschwindigkeit fährt dann doch die Angst mit. Permanent hat man das Gefühl, eingreifen zu müssen, die Hände schweben immer über dem Lenkrad – obwohl das Auto sauber die Spur hält und sich während der zweistündigen Fahrt keine Fehler erlaubt.
Der Fahrer muss immer eingreifen können
Derzeit bietet Cadillac das Stufe-3-System nur in den USA und Kanada an, aktiv wird es dort bislang auf rund 215.000 Straßenkilometern. Beim hochautomatisierten Fahren in Stufe 3 lenkt sich das Auto selbst, der Fahrer kann sich einige Zeit anderen Dingen widmen.
Er muss aber jederzeit in der Lage sein, ins Fahrgeschehen eingreifen zu können. Der aktuelle Audi A8 könnte heute schon nach Stufe 3 fahren, wenn er dürfte, die nächste Mercedes S-Klasse soll es auch können.
In Deutschland gibt es nur Versuchsfahrzeuge
Bisher erlaubt der Gesetzgeber solche Fahrerassistenzsysteme in Deutschland jedoch nicht. Die bisherigen autonom fahrenden Autos sind Versuchsfahrzeuge und dürfen lediglich in einigen Bundesländern auf besonderen Strecken unterwegs sein. Hinter dem Lenkrad sitzt meist ein Sicherheitsfahrer, der zur Not eingreifen kann.
Der Geschäftsführer der Beratungsfirma Berylls Strategy Advisors, Jan Burghard, erwartet bereits in wenigen Jahren besonders geschützte Bereiche für Roboterautos, zunächst in Industrie-Arealen, aber auch im Personenverkehr, vor allem in China, im Mittleren Osten und teils in den USA.
Test in Monheim am Rhein
Bis in Europa autonomes Fahren in Städten in Stufe 4 oder Stufe 5 möglich ist, seien aber noch viele Hürden zu nehmen. Nach Meinung von Automobilwirtschaftler Stefan Bratzel wird bis 2030 nur ein kleiner einstelliger Prozentbereich der neu zugelassenen Fahrzeuge in Stufe 4 oder 5 über die Straße fahren.
Also alles ferne Zukunftsmusik? Nicht ganz. In der Stadt Monheim am Rhein etwa kann man das Gefühl ab Herbst 2019 erleben. Dann, wenn man in einen Minibus einsteigt, der vom Busbahnhof Richtung Altstadt fährt.
Alle zehn Minuten transportiert dann so ein Bus im fließenden Verkehr mit bis zu 20 km/h die Passagiere. Eine Begleitperson ist an Bord. Sie kann im Notfall per Knopfdruck das Gefährt stoppen.
(dpa/tmn)