Göteborg – Wer bislang noch gezweifelt hat am Trend hin zur Elektromobilität, wird sich die Augen reiben: es scheint kein Zurück mehr zu geben.
Die Ankündigung von Volvo, sich in den kommenden Jahren Schritt für Schritt von Autos mit reinem Verbrennungsmotor verabschieden und auf E-Mobilität setzen zu wollen, schafft nach Expertenmeinung einen «Präzedenzfall»: «Volvo ist eine bekannte Marke, das hat symbolische Wirkung», sagt Branchenkenner Stefan Bratzel. Und die deutschen Hersteller, setzen sie auf das falsche Pferd, wenn sie am Dieselmotor festhalten? Der Druck dürfte wachsen – erneut.
Dabei sind VW, Daimler, BMW und Co. eigentlich auf einem ähnlichen Weg – aber nicht in der Konsequenz wie Volvo, wie Bratzel meint. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer setzt noch einen drauf: den deutschen Herstellern bescheinigt er eine «komische Fächerstrategie» – «das kann man übersetzen mit Verzetteln». Deren Strategie sei, auf Elektromobilität und Verbrennungsmotoren gleichzeitig zu setzen. Aber damit werde man langsamer und verschwende Geld.
Was genau hat Volvo vor? Es klingt nach dem ganz großen Aufräumen angesichts von Diesel-Skandal und Verunsicherung der Kunden: Ein «neues Kapitel der Autogeschichte» solle aufgeschlagen werden, sagt Volvo-Chef Hakan Samuelsson bedeutungsvoll. Die Folge: das Ende des ausschließlich vom Verbrennungsmotor angetriebenen Autos. Schritt für Schritt will der Autobauer sich von Verbrennern verabschieden, ab 2019 werde jedes neue Volvo-Modell einen Elektromotor haben – sei es auch in Kombination mit einem Verbrennungsmotor. Bis 2025 wolle Volvo – bislang ein kleinerer Hersteller mit einem Dieselanteil von über 50 Prozent – eine Million Elektrofahrzeuge verkaufen.
Das ist ein ambitioniertes Ziel, aber machbar, schätzt Dudenhöffer. Auch Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft in Geislingen hält die Zahl nicht für unrealistisch. «Der chinesische Markt wird sicher der Treiber sein», sagt er. «Da ist Volvo über Geely sehr stark.» Der chinesische Autobauer hatte die Schweden 2010 übernommen.
Die Strategie der großen deutschen Autobauer unterscheidet sich im Grunde kaum von den Volvo-Plänen – in einem wesentlichen Punkt aber schon: Denn obwohl sie derzeit Milliarden in den Wandel hin zur Elektromobilität stecken, rechnen sie nicht damit, dass die reinen Verbrenner in absehbarer Zeit ausgedient haben.
Bei Daimler sollen Elektroautos bis 2025 zwar bis zu 25 Prozent des Absatzes ausmachen – das heißt aber auch, dass mindestens 75 Prozent weiter einen Benzin- oder Dieselmotor an Bord haben. Andererseits sind das in Daimler-Dimensionen trotzdem mehrere Hunderttausend rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge, wie Entwicklungsvorstand Ola Källenius jüngst noch vorgerechnet hat. Volvo hat 2016 insgesamt gut 534 000 Autos verkauft.
Ähnlich bei Volkswagen: Konzernchef Matthias Müller sagte Ende April beim Wiener Motorensymposium, dass noch 2025 drei von vier Neuwagen mit Benzin oder Diesel angetrieben würden – keine Kleinigkeit bei weltweit gut zehn Millionen verkauften Autos. «Die Elektromobilität fristet nach wie vor ein Nischendasein», betont er. Moderne Verbrennungsmotoren blieben «noch mindestens 20 Jahre elementar». Daher werde VW bis 2022 zehn Milliarden Euro in die Entwicklung des Verbrennungsmotors investieren, in Elektro- und Hybridmotoren sollten bis dahin neun Milliarden Euro fließen.
Mathias Herrmann von der Unternehmensberatung Accenture mahnt allerdings: Trotz derzeit sinkender Batteriepreise könne sich das Angebot angesichts der geplanten Massenproduktion von E-Autos künftig stark verknappen. Dann profitierte E-Auto-Pionier Tesla mit seiner eigenen Batterieproduktion. Kein Zufall vermutlich, dass Daimler ein Batteriewerk in China bauen will. Volkswagen schwebt noch ein anderes Szenario vor: Erdgas als alternativer Kraftstoff. Bis 2025 soll demnach die Gas-Flotte hierzulande auf rund eine Million Fahrzeuge verzehnfacht werden.
Was aber treibt Volvo um? Dudenhöffer bescheinigt dem Autobauer eine «bestechende Ehrlichkeit dem Kunden gegenüber», während die deutschen Autobauer noch immer die Zukunftsfähigkeit des Diesels verkündeten. Aber auch die müssten sich allmählich festlegen, was für sie um das Jahr 2030 herum Priorität haben solle, sagt Diez.
Bratzel erklärt die Trendwende bei Volvo einerseits mit der Verunsicherung der Dieselkäufer angesichts der millionenfachen Manipulationen bei Abgaswerten der VW-Diesel – beim Umstieg auf Benziner seien die künftig strengeren CO2-Grenzwerte der EU nicht zu erreichen. Andererseits betont er genau wie Diez die Kosten – Parallelentwicklungen von E-Autos und immer besseren Verbrennern schlügen «richtig ins Kontor». Und da sei noch die drohende Elektroquote in China, während Volvo bislang noch keine rein elektrischen Modelle im Angebot habe. Dudenhöffer betont: «China definiert die Regeln der Autoindustrie.»
Unlängst forderten schon die Grünen, von 2030 an keine Verbrenner mehr neu zuzulassen. Grünen-Chef Cem Özdemir fordert daher, die Volvo-Initiative müsse Antrieb auch für die deutschen Hersteller sein. Zunächst muss neben der Lade-Infrastruktur die Reichweite der künftigen Elektroautos stimmen: Aber Dudenhöffer betont: «500 Kilometer und mehr sind keine Hexerei.»
(dpa)