São Paulo – Es wird Tränen geben. Wie damals. An jenem 2. November 2008. Rund 100 000 heimische Fans feierten ihren Felipe Massa. Der Sieger des Großen Preises von Brasilien.
Und für einige Sekunden der gefühlte neue Weltmeister der Formel 1. Aber nur für Sekunden. Dem unbändigen Jubel auch der Familie in der Ferrari-Box folgten die Tränen der Enttäuschung. Ein Überholmanöver von Lewis Hamilton gegen den damaligen deutschen Toyota-Piloten Timo Glock zerstörte wenige hundert Meter vor der Ziellinie die Erfüllung des sportlichen Lebenstraumes von Massa.
Er wäre der erste Brasilianer auf dem Weltmeister-Thron nach Ayrton Senna gewesen, einer der großen Ikonen dieser Rennsportserie. Seit 1991 wartet Brasilien auf seinen nächsten Campeão do mundo. Massa wird es nicht mehr, Massa tritt nach dieser Saison als Formel-1-Pilot ab. 250 Grand Prix wird er dann bestritten haben. Der am 2. November 2008 dürfte als der emotional heftigste in der Erinnerung des immer eher etwas sensibel anmutenden Piloten aus São Paulo bleiben. Ein Punkt entschied zu Massas Ungunsten.
«Meine Karriere war mehr als ich jemals erwartet hätte, und ich bin so stolz auf das, was ich erreicht habe», sagte der mittlerweile 35-Jährige bei seiner Rücktrittsankündigung. Mit Bedacht hatte er den Ort gewählt: Monza, Italien. Acht Jahre, von 2006 bis Ende 2013, fuhr Massa für Ferrari, die erste Saison an der Seite von Michael Schumacher. Der Rekordweltmeister wurde für Massa zum Lehrmeister, er nannte ihn «Professor». Aber auch zum Freund. Als Schumacher beim Skifahren vor knapp drei Jahren schwer verunglückte, betete Massa für den Rekordweltmeister. Massa, der Familienmensch litt und leidet mit.
Und er wird seine Emotionen auch kaum zurückhalten können, wenn es nun in seinem 249. Formel-1-Rennen zum Abschied von seinen Fans kommt. Nur dass es diesmal Wehmut sein wird, aber auch Stolz, keine Bitterkeit. «Interlagos ist mein zu Hause. Es ist der Ort, an dem ich aufgewachsen bin», sagte er vor dem Rennen. «Ich freu mich drauf, jede einzelne Runde zu genießen.» Es sei schade, dass Massa gehe, hatte Sebastian Vettel in Monza betont. «Wir werden ihn vermissen.»
Ein Podiumsplatz wäre noch einmal eine kleine Krönung des stets verlässlichen und loyalen Sekundanten – ob damals für Schumacher oder auch danach für Fernando Alonso. Beim Deutschland-Rennen 2010 bekam er per Ferrari-Funk die Nachricht: «Fernando ist schneller als Du. Kannst du bestätigen, dass du die Nachricht verstanden hast?» Massa gehorchte, ließ Alonso vorbei. Denn dieser kämpfte damals mit Vettel im Red Bull um die WM, nicht Massa. Erst später räumte Massa ein, dass dieses Rennen wohl einer seiner schwersten Momente gewesen sei.
Seine schlimmsten Stunden und Tage erlebte er aber im Sommer 2009. In der Ungarn-Qualifikation krachte eine Stahlfeder an seinen Helm. Sie hatte sich vom Wagen seines Landsmanns Rubens Barrichello gelöst. Massa wurde schwer am Kopf verletzt, nach einer Operation wurde er ins künstliche Koma versetzt. Das linke Auge war besonders schwer verletzt worden. 2010 kam Massa zurück. Seit drei Jahren fährt er nun für das britische Traditionsteam Williams. Nach Brasilien steigt er in Abu Dhabi am 27. November endgültig aus.
Er fuhr seit seinem Einstieg 2002 immer wieder an der Seite von Weltmeistern: Jacques Villeneuve, Schumacher, Alonso, Kimi Räikkönen. Massa werden elf Siege und vermutlich 41 Podiumsplätze bleiben. Und die Erinnerung, sich doch nur für Sekunden wie ein Weltmeister gefühlt haben zu können.
(dpa)