Monterey – Normalerweise ist Gorden Wagener hier als Juror unterwegs und muss die edelsten Oldtimer der Welt bewerten. Doch heute sind die Rollen vertauscht. Der Mercedes-Designchef präsentiert am Rande des Concours d’Elegance in Pebble Beach ein eigenes Auto, das sich dem Urteil stellt.
Allerdings ist das kein Klassiker, sondern muss es allenfalls noch werden. Denn Wagener hat im kalifornischen Pebble Beach das Tuch von einer luxuriösen Maybach-Studie gezogen. Eine Länge von knapp sechs Metern, ein Design zwischen dem Art Deco der 1930er und Captain Future, eine Kabine sowie ein First-Class-Raumschiff und ein Elektroantrieb mit 551 kW/750 PS und über 500 Kilometern Reichweite: «Damit versprechen wir das ultimative Cabrio-Erlebnis», sagt Wagener.
Der Daimler-Designer ist nicht der Einzige, der ausgerechnet beim bedeutendsten Oldtimertreffen der Welt in die Zukunft statt in die Vergangenheit blickt: Sein BMW-Kollege Adrian van Hooydonk hat hier eine Studie enthüllt, die das Publikum auf die nächste Generation des Roadsters Z4 einstimmen soll. Infiniti zeigt mit dem Prototype 9, wie sich der noble Nissan-Ableger einen Rennwagen in der goldenen Ära der Silberpfeile vorgestellt hätte und beamt das Konzept mit einem 120 kW/148 PS starken und 170 km/h schnellen Elektroantrieb in die Zukunft. VW schickt zwischen millionenschweren Klassikern die Detroit-Studie ID Buzz zur Jungfernfahrt über den berühmten 17-Miles-Drive und verkündet die offizielle Serienfreigabe des E-Bullis, der ab 2022 auf den Markt kommen soll.
Dass die Hersteller solche Ankündigungen hier und nicht etwa vier Wochen später auf der IAA in Frankfurt machen, hat gleich mehrere Gründe. «Nirgendwo ist die Begeisterung für das Auto größer als hier», sagt VW-Chef Herbert Diess. «Und nirgendwo haben die Autonarren mehr Geld, das während des Events besonders locker sitzt», ergänzt Wolfgang Dürheimer. Der Chef von Bentley und Bugatti erzählt, dass sie ihm hier regelmäßig sogar seinen Dienstwagen vom Hotelparkplatz weg abkaufen. Und außerdem will ausgerechnet hier in Kalifornien an diesem Wochenende niemand etwas wissen vom Abgasskandal, vom Kartellverdacht oder von all den anderen Themen, die der PS-Branche auf den klassischen Automessen mittlerweile die Stimmung verhageln.
Daneben gibt es hier Veranstaltungen wie «The Quail», wo das Ticket über 600 US-Dollar kostet. Die sind längst zur Autoshow im Smoking geworden, bei der sich die Luxusmarken zwischen historischen PS-Preziosen von der fantasievollen Seite zeigen und die hohe Kunst der Individualisierung demonstrieren. Aston Martin etwa macht aus dem ohnehin schon exklusiven Vanquish gemeinsam mit dem italienischen Karosseriebauer Zagato eine noch größere Seltenheit und zeigt einen Shooting Brake, den es nur 99 Mal geben wird sowie einen auf 28 Exemplare limitierten Speedster.
Der ehemalige Ferrari-Designer Ken Okuyama lockt mit einem vom Lamborghini Diablo inspirierten Supersportwagen namens Kode 0 mit 515 kW/700 PS, den es nur einmal geben wird. McLaren macht aus dem 720S eine schillernde Besonderheit, in dem die Briten den Sportwagen auf besonderen Wunsch eines einzelnen Kunden in «Fuchsia»-Pink lackieren.
Obwohl sich die Hersteller den Auftritt einen Monat vor der IAA viel Geld kosten lassen, zahlt sich das Engagement offenbar aus, und die Auftragsbücher füllen sich schneller, als sich die Champagnerflaschen leeren. Der kommende Supersportwagen Projekt One von Mercedes-Ableger AMG, der nur 275 Mal gebaut wird und knapp drei Millionen Euro kosten wird, ist seit dem Wochenende vierfach überzeichnet, sagt Wagener. Und das, obwohl es auch in Kalifornien nicht mehr als den aus der Formel 1 entlehnten Antrieb mit mehr als 809 kW/1100 PS zu sehen gab.
Mercedes-Maybach Vision 6 Cabrio, Aston Martin Vanquish Zagato, AMG Projekt One – sie müssen sich ihre Vergangenheit in der Zukunft zwar noch erarbeiten. Doch sind sie oft genauso rar und teuer wie die Oldtimer, die sich den Juroren stellen müssen. Der Z4 vielleicht nicht, weil man den laut BMW schon im nächsten Jahr kaufen kann, und der ID Buzz soll große Stückzahlen machen, stellt VW in Aussicht. Doch weder der Protoype 9 noch der Maybach werden es je auf die Straße schaffen, selbst wenn Wagener allein am Premierenwochenende ein Dutzend Blankoschecks angeboten bekommen hat.
Damit haben diese Studien als absolute Raritäten aber zumindest die Chance auf ein Comeback als Teilnehmer bei einem Concours in ferner Zukunft, wenn heute längst gestern ist.
(dpa/tmn)