Barcelona – Die Denksportaufgabe von Branchenprimus Mercedes nehmen Sebastian Vettel und Ferrari mit in die letzten Formel-1-Tests. Den Technik-Trick der Silberpfeile wollte der viermalige Weltmeister aber nicht überbewerten.
«Vielleicht unterschätze ich es auch, aber ich denke nicht, dass es das Ticket zum Gewinnen ist», meinte Vettel in Barcelona, nachdem Mercedes die Konkurrenz mit einer neuartigen Lenkung aufgeschreckt hatte. «Es gehört viel mehr dazu, ein wettbewerbsfähiges Auto zu bauen, es ist aber sicher eine Innovation und wir werden sehen, ob es sich um etwas handelt, dass jeder aufgreifen sollte oder nicht.»
Bei «es» dreht es sich um «DAS» (Dual Axis Steering), also eine Duale Achsen-Steuerung. Und so wenig sich dieses System innerhalb kurzer Zeit kopieren lässt, so eindrucksvoll ist das Zeichen von Mercedes an seine Rivalen: Selbst nach sechs Fahrer- und Konstrukteurstiteln in Serie hinterfragt sich der gierige Dauergewinner schonungslos. «Es ist eine geniale Idee, weil sie vom Prinzip her so simpel ist. Man muss nur darauf kommen», sagte Racing-Point-Technikchef Andy Green dem Fachmagazin «Auto, Motor und Sport».
Schon am zweiten Testtag in Katalonien verblüffte Mercedes seine Konkurrenten. Auf einer Bordkamera war zu sehen, wie Weltmeister Lewis Hamilton auf einer Geraden das Lenkrad an sich zog und dann kurz vor der Kurve wieder von sich wegdrückte. Dabei neigten sich die Vorderräder zunächst leicht nach innen, ehe sie wieder in ihre Ausgangsstellung zurückkehrten.
Diese Vorspurverstellung dient der Temperaturregulierung der Reifen. Üblicherweise kühlen die Pneus auf einer Geraden aus. Dank des so genannten DAS werden die Vorderräder aber leicht verstellt, was den Rollwiderstand erhöht. Zusätzliche Reibung erzeugt Hitze, und aufgewärmte Reifen bieten mehr Halt in einer Kurve.
DAS war ein kraftvolles Signal von Mercedes vor den abschließenden drei Testtagen von Mittwoch an bis Freitag. Eingang in das komplett überarbeitete Regelwerk für 2021 wird es dem Motorsport-Weltverband FIA zufolge aber nicht finden. Und selbst wenn Hamilton und sein Teamkollege Valtteri Bottas einen starken Eindruck in Katalonien hinterließen, reibungslos war nicht alles. So wurde der Finne am zweiten Tag vorübergehend von einem elektrischen Defekt ausgebremst.
Insbesondere auf Vettel und Ferrari wartet vor dem ersten Grand Prix des Jahres am 15. März in Melbourne noch viel Arbeit, soll die Scuderia endlich wieder einen Titel gewinnen. Ein Motorschaden kostete den Deutschen und seine Truppe wertvolle Zeit. Die Italiener wählten im Gegensatz zum vergangenen Jahr, als sie nach imposanten Testtagen als Favorit vor dem Auftaktrennen galten, einen anderen Ansatz. Das Verständnis für den SF1000 und das Sammeln von Daten standen im Vordergrund, nicht die Rundenzeiten.
«Wir haben kein Siegerauto für Melbourne. Andere sind derzeit schneller als wir», meinte mit selbst auferlegter Zurückhaltung Ferrari-Teamchef Mattia Binotto. Mercedes erwies sich als bis dato nicht nur schneller, sondern auch deutlich zuverlässiger. 494 Runden absolvierten die Silberpfeile, dahinter kam Red Bull mit Max Verstappen (471). Ferrari brachte es auf nur 354 Umläufe.
Vettels Laune trübt das noch nicht. Die Kräfteverhältnisse zeigen sich schließlich erst in Melbourne. Und auch «DAS» konnte der Hesse mit Humor nehmen. Als «ziemlich merkwürdig» würde er sich das neue Lenkverhalten vorstellen. «Stell dir vor, du bist daran gewöhnt, joggen zu gehen und ziehst deine Joggingschuhe an. Dann fragt dich jemand, ob du nicht mit Flipflops laufen willst», erzählte Vettel. «Das kannst du schon machen, es fühlt sich aber ganz anders an.»
(dpa)