Arjeplog – Es ist kurz nach Sonnenaufgang irgendwo in Südafrika, und das Bild hat etwas Gespenstisches: Im Konvoi sind mit hohem Tempo ein Dutzend getarnte Autos unterwegs und plagen sich auf einsamen Schnellstraßen und rustikalen Schotterpisten durch die staubige Hitze eines neuen Tages.
Immer wieder halten die sogenannten Erlkönige an. Die Fahrer steigen aus, stöpseln ihre Computer an die Bordelektronik, ändern ein paar Einstellungen, lesen ein paar Daten aus, und der Tross nimmt wieder Fahrt auf – willkommen bei der geheimen Prototypen-Erprobung der Automobilhersteller.
Jahre bevor eine neue Baureihe auf den Markt kommt, spult sie viele Millionen Kilometer bei solchen Tests in aller Herren Länder ab, sagt Peter Haß, der bei Porsche die Erprobung der Geländewagen leitet und gerade mit dem neuen Cayenne Hybrid im Hinterland von Johannesburg unterwegs ist. Zwar haben die Fahrten auch etwas von Abenteuerurlaub. Doch suchen sich die Entwickler die exotischen Ziele nicht wegen ihres Reisefiebers aus. «Sondern zum einen geht es dabei natürlich um eine gewisse Abgeschiedenheit», sagt VW-Entwicklungschef Frank Welsch bei einer sogenannten Heißland-Erprobung an der Grenze zu Botswana.
Schließlich sollen die Prototypen möglichst lange geheim bleiben. «Und zum anderen geht es darum, die neuen Autos unter extremen Bedingungen zu testen.» Denn wenn neue Technik solche Marterfahrten übersteht, dann sollte sie auch im automobilen Alltag der zivilisierten Welt nicht kaputtgehen, sagt Welsch, wischt sich den Schweiß und Staub der afrikanischen Savanne von der Stirn und wechselt in den nächsten Prototypen.
Nur zwei, drei Monate später sitzen die gleichen Ingenieure wieder hinter dem Steuer – nur dass sie diesmal dicke Thermohosen und Fellmützen aufsetzen, wenn sie aussteigen. Denn statt in Afrika sind sie jetzt in der Arktis und spulen zum Beispiel in Arjeplog in Schweden oder auf den eisigen Highways Alaskas das gleiche Erprobungsprogramm noch einmal ab.
«Programmierung und Verifizierung von Assistenzsystemen und Fahrdynamikregelungen und die Dauerhaltbarkeit unter extremen Bedingungen, das ist es, um was es uns hier oben im Norden vor allem geht», sagt ein Mercedes-Entwickler. Der Süden Afrikas und der Norden Skandinaviens sind aber nur die Eckpunkte eines globalen Erprobungsprogramms, das laut Mercedes-Sprecher Koert Groeneveld etwa drei Jahre vor dem Verkaufsstart eines neuen Modells beginnt.
Anfangs unter höchster Geheimhaltung noch auf abgelegenen Teststrecken und später dann mit auffälliger Tarnfolie auf öffentlichen Straßen führt dieses Programm die Prototypen beinahe rund um den Globus: Sie müssen sich in der Rushhour von Los Angeles genauso bewähren wie in der feuchten Gluthitze von Dubai, auf Alpenpässen und der Autobahn und vor allem auf den Landstraßen rund um den Nürburgring sowie auf dessen legendärer Nordschleife.
Dabei fahren sie selbst mit schweren Geländewagen und luxuriösen Limousinen über die berühmte Rennstrecke. Denn es geht nicht um die besten Rundenzeiten, sondern vor allem um einen Härtetest: «Jeder Kilometer auf der Nordschleife ist so hart wie zehn auf einer normalen Straße», sagt Jaguar-Tester Mike Cross: «So können wir ein Autoleben im Zeitraffer durchfahren und sicherstellen, dass alle Systeme in Ordnung sind». Wenn Bremsen, Kühlung und andere Komponenten auf der Nordschleife bestehen, dann werden sie auch auf der Autobahn keine Probleme machen.
Aber Dauerhaltbarkeit und Funktionssicherheit sind nur eine Seite der Medaille. Zumal nach Angaben von Mercedes immer mehr Tests virtuell auf speziellen Simulatoren gefahren werden. Diese haben die Standardstrecken gespeichert und so mitunter sogar die besseren, weil leichter vergleichbaren Daten.
Die Vorserienerprobung und speziell die Abnahmefahrten der Vorstände gehören aber auch zur Marketing-Maschinerie: «Freilich will diese «Liebe zum Detail» auch medial inszeniert sein», sagt Automobilwirtschaftler Stefan Bratzel. «Denn so tragen Vorstandsfahrten auch zur Markenbildung bei.» Viel wichtiger sei die interne Wirkung: «In den Abnahmefahrten der obersten Führungsebene drückt sich eine hohe Wertschätzung für das Produkt aus, die wiederum eine Strahlkraft auf die gesamte Entwicklungsabteilung ausüben und höchst motivierend wirken kann», sagt der Professor an der Hochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
(dpa/tmn)