Las Vegas – What’s next? Die Antwort auf die große Frage nach der nächsten Neuheit, die unsere Welt verändern wird, erwartet man derzeit von so ziemlich jedem Industriezweig außer der Autobranche. Denn zu weit hat sich der einstige Innovationsmotor zuletzt in die Defensive drängen lassen.
Der Abgasskandal, die Sorge ums Klima und der Kriechgang bei der fälligen Transformation – all das hat die PS-Giganten zuletzt als schwerfällige Dinosaurier erscheinen lassen, die auf der Strecke zu bleiben drohen. Doch jetzt schlagen Mercedes und Co zurück und zeigen sich auf Elektronikmesse CES in Las Vegas (noch bis 10. Januar) fit for future: Spektakuläre Studien, saubere Antriebe, schlaue Assistenten und Infotainment-Lösungen sollen beweisen, dass das Auto genau wie seine etablierten Hersteller durchaus eine Zukunft haben.
Mensch, Maschine und Natur in Harmonie vereint
Nirgendwo wird das so deutlich wie am Mercedes-Stand: Dort schillert die Vision AVTR im Rampenlicht und predigt inspiriert vom Hollywood-Hit «Avatar» den Frieden zwischen Technik und Umwelt: Ein von der Natur inspiriertes Design, ein emissionsloser Elektroantrieb, eine fast schon organische Verbindung von Mensch und Maschine und eine Batterie, die man kompostieren kann. Das soll dieses ferne Traumbild der Designer zu einer nachhaltigen Luxuslimousine machen, die nach den Worten von Mercedes-Chef Olla Källenius zwar die Grenzen des Planeten respektiert, dem Menschen in seiner individuellen Freiheit aber keine Grenzen setzt.
Während Mercedes weit in die Zukunft blickt und dabei fast schon philosophisch wird, bewahren die anderen Hersteller etwas mehr Bodenhaftung und blicken nicht ganz so weit in die Zukunft. Mit diversen Modellen geben BMW, Audi oder Chrysler einen Ausblick darauf, wie die nächste Generation von Elektroautos von innen aussehen und wie sie zu bedienen sein wird.
Gleichzeitig mischen sich ein paar neue Wettbewerber ein. An elektrische Start-ups wie Byton hat man sich langsam gewöhnt. Und Henrik Fisker hat zwar eine neue Firma und mit dem pfiffigen Strom-SUV Ocean auch ein neues Auto, ist aber als einstiger Chefdesigner von Aston Martin und Erfinder des Hybrid-Sportwagens Karma ein alter Bekannter.
Sony zeigt erstes eigenes Auto
Mittlerweile mischt sogar Sony mit. Der Elektronikkonzern zeigt mit dem Vision-S den ersten Entwurf für ein eigenes Auto. Offizielle Angaben zu den Absichten des Elektronik-Riesen gibt es auf der Messe zwar nicht. Doch glaubt kaum ein Besucher an die Serienfertigung der knapp fünf Meter langen Stromlinien-Limousine. Vielmehr wirkt das Schaustück wie ein Technologieträger, mit dem Sony sich als Zulieferer etwa für Infotainment-Lösungen ins Gespräch bringen will.
Das passt. Denn anders als klassische Automessen steht die CES nicht nur für komplette Fahrzeuge, sondern auch für Details und Einzellösungen, die das Autofahren unterhaltsamer, sicherer oder komfortabler werden lassen. Während in anderen Hallen Gadgets wie Anti-Schnarchkissen oder smarte Windeln präsentiert werden, schaut die PS-Branche bei Bosch auf eine durchsichtige Sonnenblende, die vor Blendung schützt. Bei Continental zeigen sich Armaturenbretter, deren Oberflächen schwingen und so ohne Lautsprecher Musik abspielen können. Der Sitz ZeroG-Lounger von BMW lässt sich während der Fahrt weiter nach hinten neigen als je zuvor und verspricht mehr Komfort.
Die alten Marken gehen in die Luft
Byton, Fisker, Sony – während in Las Vegas immer mehr neue Hersteller auf die Straße gehen, weichen die etablierten Marken in die Luft aus: Nach Audi und Mercedes hat jetzt auch Hyundai ein Flugtaxi präsentiert, das gemeinsam mit dem Fahrdienstvermittler Uber zur Serienreife entwickelt werden soll.
«Wir haben keine andere Wahl, wenn wir die Mobilität erhalten wollen», sagt Young Cho Chi, der Strategiechef der Koreaner. «Denn auf dem Boden wird es nicht mehr für alle Platz geben.» Schon Mitte des Jahrzehnts erwartet er erste Testflüge der elektrischen Passagierdrohne. Und binnen 15 Jahren soll sie massenhaft im Einsatz sein und den Verkehrskollaps in Megacitys verhindern.
Ist die Euphorie beim vollautonomen Auto verflogen?
Zwar kann man auf der CES erkennen, wie neue Trends an Fahrt aufnehmen. In diesem Jahr neben großen Themen wie Lufttaxis zum Beispiel, wie sich die Sprachsteuerung verbessert. Doch die Leitmesse der Generation iPhone macht auch deutlich, dass manche Themen schnell wieder abstürzen können.
Wie das autonome Fahren. Sah es noch vor zwei, drei Jahren in Las Vegas so aus, als gehöre dem Autopiloten bald die Straße. Mittlerweile gibt sich die Branche ernüchtert und will zumindest für den Pkw vorerst von voller Autonomie nichts mehr wissen.
«Auf lange Sicht wird es vor allem stark assistierte Systeme geben, die den Komfort und die Sicherheit erhöhen, ohne den Fahrer aus der Pflicht zu lassen», heißt es beim Zulieferer ZF aus Friedrichshafen. Für alle weiterem Aufgaben seien die Hürden zu hoch und die Behörden zu langsam, argumentieren die Experten. Sie setzten dafür lieber auf Masse und zeigen ein Komplettsystem von Sensoren und Elektronik, mit dem der Endkundenpreis für nahezu freihändiges Autobahnfahren auf weniger als 1000 Euro sinken soll.
Zwar ist die CES ein Schaufenster für neue Technologien, durch das man etwas weiter in die Zukunft blicken kann als auf konventionellen Automessen. Doch egal, wie abgehoben die Pläne und Projekte auch sein mögen – vieles von dem, was hier und heute noch als Vision gehandelt wird, soll über kurz oder lang tatsächlich Wirklichkeit werden.
Selbst die bionische Steuerung für den Vision AVTR am Mercedes-Stand, der sich auch wie im Krebsgang zur Seite bewegen kann, ist kein Hirngespinst, genauso wenig wie die kompostierbare Batterie. Natürlich wird das alles noch etwas dauern, räumt Designchef Gorden Wagener ein. Aber nicht umsonst haben die Schwaben den Zeithorizont entsprechend großzügig gewählt: Der Kinofil «Avatar» spielt schließlich erst im Jahr 2154.
(dpa/tmn)