Debatte um freie Fahrt in der Formel 1

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São Paulo – Bernie Ecclestone hat nicht die Absicht, richtige Mauern zu errichten. Höchstens kleine von etwa 40 Zentimetern Höhe in manchen Kurven, damit seine Formel-1-Piloten nicht einfach geradeausfahren können und es anschließend wieder ermüdende Diskussionen um eine Bestrafung gibt.

Ecclestone will seine Formel 1 wie alle anderen keinesfalls gefährlicher machen. Aber nachträgliche Strafen, immer wiederkehrende Diskussionen und Unklarheiten auf der Strecke für die Piloten sollen ein Ende haben. 

«Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht für Regel A Regel B gibt, dafür Regel C und D und E und F und so weiter», sagt Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene am Rande des Großen Preises von Brasilien. Ausgerechnet er sagt das. Denn Arrivabene und sein Team versuchten in São Paulo, diese Grauzonen des Regelwerks mit reichlich zeitlicher Verspätung noch einmal auszuloten.

Sie forderten die Rennkommissare zur Neubetrachtung eines Vorfalls mit Sebastian Vettel und den beiden Red-Bull-Piloten Max Verstappen und Daniel Ricciardo auf  – vom Grand Prix in Mexiko! Die Reaktion: Unverständnis. Ricciardo schüttelte nur den Kopf: «Das zieht es doch nur in die Länge.» Per Telefonkonferenz wurde Ferraris Einwurf mit den Stewards des Mexiko-Rennens diskutiert – und verworfen.

Und überhaupt: Vettel war für das bestraft worden, was er und sein Teamkollege Kimi Räikkönen in vorangegangenen Situationen bei Verstappen heftigst kritisiert hatten: Spurwechsel beim Bremsen. Das für den Hintermann extrem gefährliche Manöver wurde erst kürzlich unter Strafe gestellt.

Strafmaß und tatsächliche Bestrafung sind aber so eine Sache. Lewis Hamiltons Abkürzung – eher geradeaus anstatt durch die Kurve – in Mexiko gleich zu Beginn wurde nicht geahndet, die spätere von Verstappen schon. «Die Fahrer müssen sonntags ja ein Regelbuch mit ins Auto nehmen und darin blättern, bevor sie ihren Platz verteidigen oder überholen», sagt Verstappens Teamchef Christian Horner.

«Wenn du drei Rennkommissare hast, hast du für gewöhnlich drei Meinungen. Einer könnte für Disqualifikation plädieren, einer für eine Strafe und der dritte sagt, dass doch gar nichts war», meint Formel-1-Geschäftsführer Ecclestone und schlägt als Alternative die kleinen Mauern vor. Kiesbetten sind für Horner ein Lösungsansatz. Die würden den Rennkommissaren die Arbeit abnehmen. Die Fahrer würden viel Zeit verlieren beim Durchfahren oder gar stecken bleiben.

Die Frage ist: Wie viele Verkehrsregeln verträgt die Formel 1? An der Sicherheit soll und wird niemand rütteln wollen. Das ist ein hart und über viele Jahre auch mit finanziellem Aufwand erarbeitetes Gut und auch Gütesiegel der Formel 1. «Ich denke, es würde allen helfen, die Regeln zu vereinfachen», meint Ferraris Teamchef Arrivabene.

Die Fahrer klagen schon genug darüber, dass sie auf die komplizierte Technik der High-Tech-Turbo-Hybridboliden achten müssen oder auf deren Bereifung. «Lasst sie Rad-an-Rad fahren», fordert Horner. «Wir brauchen keine Regeln für Zweikämpfe. Die Fahrer sollen das unter sich ausmachen. Und wenn sie zu weit gehen, bestrafen sie sich auch selbst. Wer einen Unfall baut, kommt nicht ins Ziel», sagt Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko «auto-motor-und-sport.de».

Besondere Brisanz erfuhr die Debatte durch den Zeitpunkt. Selbst Mercedes-Teamchef Toto Wolff schwärmte im Motorhome der Silberpfeile von der Fahrweise eines Verstappen. Der 19 Jahre alte Teenager verursachte in seiner noch sehr jungen Karriere schon Unfälle, er wurde schon bestraft, er fährt aber weiterhin mit der Kompromisslosigkeit kommender Champions.

Was Wolff wiederum bewog, in einem Telefonat über dieses und jenes mit Verstappen-Vater Jos, das auch anzusprechen. Es sei nur aus Sympathie für Max gewesen, beteuert Wolff. Aber würde es einen Unfall so kurz vor Schluss mit den WM-Rivalen Nico Rosberg und Hamilton geben, würde das die seiner Meinung nach ungerechtfertigte negative Stimmung in den Medien gegen Max Verstappen noch mal verstärken.

Der Anruf wiederum erzürnte die Red-Bull-Verantwortlichen. Als Wolff auf dem Autodrómo José Carlos Pace in der Teamunterkunft mit den internationalen Medienvertretern gerade darüber sprach, ging Horner an der Glasfront vorbei und hielt mit einem leicht hämischen Grinsen die Hand ans Ohr, als wolle er telefonieren.

Letztlich gehören Szenen wie diese ebenso wie die Attacken auf der Strecke zur Formel 1, die Show muss stimmen. Fahrer loten die Grenzen aus. Das machte ein Ayrton Senna, ein Michael Schumacher. Das macht die Generation um Shootingstar Verstappen. «Lasst doch die Fahrer fahren. Dann kommt auch guter Sport dabei raus», empfiehlt Marko.


(dpa)

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