São Paulo – In den endlosen Seelenschmerz um ihren geliebten Ayrton Senna mischt sich in São Paulo die Angst vor dem Abschied der Formel 1.
Als Symbol des nationalen Motorsports preist Bürgermeister Bruno Covas das Autódromo Jose Carlos Pace, die legendäre Strecke in Interlagos vor den Toren der Finanzmetropole Brasiliens. Schauplatz großer Duelle, großer Dramen, großer Siege und Triumphe. Ein Ort, der ähnlich wie der 1994 tödlich verunglückte Senna auch für den Mythos der Formel 1 steht. Die Zukunft könnte woanders liegen. Rund 500 Kilometer weiter östlich.
Rio de Janeiro will spätestens von 2021 an Gastgeber für den Großen Preis von Brasilien sein, 2020 gilt noch der Vertrag für São Paulo. 1973 fand in Interlagos das erste Mal ein Grand Prix statt. 1978 sowie von 1981 bis 1989 wurde in Rio gefahren. Für die Rückkehr plant die ehemalige Olympia-Stadt einen neuen Kurs. Umgerechnet rund 216 Millionen Euro soll er kosten, finanziert durch private Investoren.
Geld, das man nach Meinung von Sechsfach-Weltmeister Lewis Hamilton in Brasilien besser ausgeben könnte. «Wir müssen nicht noch mehr Regenwald abholzen», betonte er im Fahrerlager von São Paulo und empfahl, lieber in die Infrastruktur von Städten oder den Kampf gegen die Armut zu investieren. «Das klingt für mich wie ein Witz», hatte bereits Felipe Massa die Pläne kommentiert. Auf der ganzen Welt gebe es Strecken, die Probleme hätten oder zum Verkauf stehen würden, hatte der ehemalige Formel-1-Pilot aus Brasilien betont.
Ginge es nach Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, würde die Formel 1 schon in diesem Jahr das letzte Mal in São Paulo starten. Im Mai hatten er, der zuständige Gouverneur Wilson Witzel und Rio-Bürgermeister Marcelo Crivella bereits ein Kooperationsabkommen für den neuen Kurs unterzeichnet. Es ist nicht das erste Mal, das auch Politiker die Motorsport-Königsklasse aus Prestigegründen für sich entdecken.
Die Stadt und das Bundesland São Paulo hatten allerdings klargestellt, dass es bis Ende 2020 einen gültigen Vertrag für ein Rennen in Interlagos gibt. Zudem versuchen die Verantwortlichen dort auch, einen neuen Vertrag mit den Formel-1-Bossen abzuschließen. Die Schlagzeilen vergangener Jahre über Überfälle und Sicherheitsbedenken dürften zwar nicht förderlich sein, ob es in Rio anders wäre, darf zumindest hinterfragt werden.
Für viele ist die Strecke in São Paulo nur schwer wegzudenken aus dem Rennkalender, selbst wenn der neue Kurs immerhin den Namen von Brasiliens Formel-1-Ikone Senna tragen soll. Interlagos steht wie nur wenige andere Kurse für das, was die Formel 1 ausmacht. In Sebastian Vettels Worten: «Der Ort hier hat den Hang zum Drama.»
Unvergessen ist die Fahrt zum ersten Heimsieg von Senna 1991. Er selbst war völlig erschöpft, weil er die letzten Runden komplett im sechsten Gang fahren musste und von Krämpfen im Wagen geplagt wurde. Die Zuschauer, ohnehin maximal begeisterungsfähig, waren «hysterisch» vor Freude, schreibt die Formel 1 in einem Rückblick auf das Rennen.
Oder 2007: In einem Krimi-Finale gewann Kimi Räikkönen die WM und verwies das McLaren-Mercedes-Duo Hamilton und Fernando Alonso auf die Plätze zwei und drei. Noch immer ist es der bisher letzte Fahrertitel für Ferrari. Auch, weil sich Massa im Jahr darauf nur für ein paar Sekunden wie der neue Champion fühlen konnte. In einem Herzschlag-Finale der Extraklasse krönte sich Hamilton zum ersten Mal in seiner Karriere zum Champion.
Es ist zum einen der späte Zeitpunkt im Rennkalender, der allein schon für entscheidungsträchtige Duelle sorgt. Es ist aber auch das Layout des Berg- und Talkurses mit schnellen und langsamen Kurven, komprimiert auf gut vier Kilometern. Nicht zu vergessen das Wetter im November in São Paulo. Von Sonne und knapp 30 Grad bis Starkregen ist praktisch immer alles möglich. Und aus all diesen Gründen lieben die Piloten den Kurs, so wie die Brasilianer ihren Senna für immer lieben werden.
(dpa)