Stuttgart – Knietiefe Wasserdurchfahrten, matschige Feldwege, verschneite Landstraßen und kilometerlange Schotterpisten – den allermeisten Oldtimer-Besitzern vergeht allein beim Gedanken an solche Bedingungen die Lust an einer Ausfahrt.
Es sei denn, ihr Wagen ist eine Mercedes G-Klasse. Dann verspüren sie wahrscheinlich eher ein Kribbeln im rechten Fuß und stürzen sich selbst im Winter bereitwillig in jedes automobile Abenteuer – selbst wenn es wie die Rallye Le Jog auf 2500 Kilometern Nebenstraßen, Forstpisten und Feldwegen von Land’s End im Südwesten nach John O’Groats im Nordosten einmal quer durch Großbritannien führt.
Fahrzeug für Extreme
Schließlich wurde die G-Klasse genau für solche Extreme entwickelt – und zwar vor mittlerweile mehr als 40 Jahren. Denn begonnen hat die unendliche G-eschichte laut Mercedes-Classic-Sprecher Ralph Wagenknecht bereits 1972 mit einem Kooperationsvertrag zwischen Daimler-Benz und Steyr-Daimler-Puch, aus dem 1973 ein grob geschnitztes Holz-Modell hervorgeht, dessen Grundmuster absolut trendresistent für die Ewigkeit gemacht scheint. 1975 fällt die Entscheidung für die Serienproduktion und den Bau eines neuen Werkes in Graz. Im Frühjahr 1979 steht das erste fertige Auto beim Händler.
Weil der G der ersten Stunde vor allem für Feldwebel und Förster gedacht war und die Entwickler offensichtlich noch keine Budgetrestriktionen kannten, haben sie ihn dabei zu einem automobilen Alleskönner aufgerüstet, der so leicht vor keinem Hindernis kapituliert. So schafft der Klassiker mit seinen drei zuschaltbaren Differentialsperren und der Geländeuntersetzung Steigungen mit bis zu 80 Prozent, Schräglagen von 54 Prozent oder Wasserdurchfahrten von einem halben Meter Tiefe. Damit deklassiert er selbst ernsthafte andere Geländewagen zu Sandkastenspielern.
G-Modell als Lifestyle-Objekt
Doch der Siegeszug des G-Modells kommt anfangs nur langsam in Fahrt. Denn friedliche Potentaten und die flaue Kassenlage der öffentlichen Hand limitieren den staatlichen Bedarf. Deshalb beschließt Mercedes eine große G-evolution und überstellt den G in die Pkw-Division.
Dort wird der urtümliche Krabbler nicht wie geplant nach zwölf Jahren eingestellt, sondern auf den Wogen der ersten Allradwelle zu einem Lifestyle-Objekt, das sich mit Kanten und seiner technischen Sonderstellung von den Emporkömmlingen aus dem In- und Ausland unterscheidet. Und nachdem sein Stern wegen des immensen Verbrauchs und der erstarkten Konkurrenz vor einigen Jahren doch beinahe zu verglühen schien, haben plötzlich die Amerikaner ihre Liebe für den «G from Germany» entdeckt und ihm so über sein Karrieretief geholfen.
Heute schätzen allerdings wieder rund um den Globus nicht nur Abenteurer und Aufschneider den Klassiker. Sondern als gepanzertes Modell in der schwersten Schutzstufe B7 ist der G-Guard vielen Prominenten und Potentaten zur Trutzburg auf Rädern geworden. Längst werden deshalb mehr zivile G-Klassen verkauft als militärische, sagt Baureihenchef Gunnar Güthenke.
Durchhaltevermögen statt Dynamik
Wenn man ein Auto von mehr als zwei Tonnen bewegen möchte, das in etwa so windschnittig ist wie eine Beton-Fertiggarage, kann ein bisschen mehr Leistung nicht schaden. Doch der Rallye-Einsatz des 280 GE im winterlichen England beweist, dass es nicht die 430 kW/585 PS, die vier Liter Hubraum und die acht Zylinder des aktuellen G63 braucht.
Schon der 2,8 Liter große Reihensechszylinder mit seinen 115 kW/156 PS und 226 Nm reicht aus, um überall durch- und in der Zeit anzukommen. Denn was dem G an Dynamik fehlt – und das ist bei der gefühlten Ewigkeit, die er zum Beschleunigen braucht, und bei einem Spitzentempo von 158 km/h eine ganze Menge – macht er mit Durchhaltevermögen wett und je schlechter die Strecke, desto besser sind seine Chancen.
Über die Jahre hat Mercedes den Klassiker immer wieder modernisiert und in diesem Frühjahr sogar noch einmal komplett neu konstruiert. Aber als die G-Klasse vor 40 Jahren eingeführt wurde, hätte sich selbst bei Mercedes niemand träumen lassen, dass sie so eine lange Laufzeit haben wird, sagt Güthenke. «Doch nachdem wir die Planung immer wieder über den Haufen geworfen und die Produktion verlängert haben, ist die G-Klasse mittlerweile die einzige Baureihe bei Mercedes, für die es keine definierte Laufzeit mehr gibt.»
(dpa/tmn)