Aachen – Die Elektromobilität erobert das Nutzfahrzeug. Mit der Akzeptanz des alternativen Antriebs wächst auch das Angebot für Handel, Handwerk und Gewerbe.
Immer mehr Firmen liebäugeln angesichts drohender Diesel-Fahrverbote in den Innenstädten, großzügiger Förderungen und des positiven Marketing-Effekts mit elektrischen Kleintransportern.
Einsatz von Akku-Autos als Nutzfahrzeuge
Zwar sei das Geschäft von den etablierten Anbietern bislang nur spärlich bedient worden, sagt Automobilexperte Stefan Bratzel von der Hochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Doch die Elektrifizierung gehe an den leichten Nutzfahrzeugen nicht vorbei. Sondern im Gegenteil sei das ein Feld, das sich für den Einsatz von Akku-Autos besonders eigne – nicht nur weil im Stadtverkehr die lokale Emissionsfreiheit immer wichtiger werde.
«Die Betriebskosten sind niedrig, die elektrischen Reichweiten sind für gewerblichen Betriebe meist ausreichend, und das Aufladen ist über Nacht gut möglich. Außerdem bieten die kleinen Nutzfahrzeuge auch genügend Platz für die Batterien», fasst er die Vorteile zusammen.
Streetscooter im Auftrag von DHL
Zwar gibt es schon seit einigen Jahren umgerüstete Varianten von Fahrzeugen wie dem Renault Kangoo, dem Peugeot Partner oder dem Nissan NV200. Doch so richtig spannend ist es erst seit 2017 – da hat das Aachener Unternehmen Streetscooter im Auftrag von DHL das erste dezidierte Elektrofahrzeug unter den Kleintransportern vorgestellt, das mittlerweile in immer mehr Städten ganz still und sauber die Post bringt und seit diesem Jahr auch an andere Kunden verkauft wird.
Nachdem es bislang nur das Modell Work mit bis zu 235 Kilometern Reichweite und einer auf 85 km/h limitierten Höchstgeschwindigkeit gab, starten die Aachener nun in Kooperation mit Ford auch den großen Bruder Work XL. Er basiert auf einem Fahrgestell des Transit, bietet mit 20 Kubikmetern fast das fünffache Ladevolumen des kleinsten Work und fährt bis zu 200 Kilometer weit.
Mercedes mit dem eSprinter
Im gleichen Segment tritt auch Mercedes mit dem eSprinter an, der 2019 an den Start gehen soll. Mit den Batterien im Wagenboden bietet der Kastenwagen auch weiterhin 10,5 Kubikmeter Ladevolumen und kann je nach Batteriegröße 115 bis 150 Kilometer weit fahren, kündigen die Schwaben an.
VW kontert mit dem e-Crafter
Konkurrent VW kontert mit dem e-Crafter und dessen Schwestermodell eTGE von MAN, die ebenfalls knapp elf Kubikmeter Ladevolumen bieten und auf eine Reichweite von bis zu 160 Kilometern kommen. Aus Frankreich kommt dazu ein Master ZE von Renault mit bis zu 12,4 Kubikmetern Ladevolumen und maximal 120 Kilometern Reichweite und der italienische Anbieter Iveco stromert mit dem Daily Electric bis zu 200 Kilometer durch die Stadt.
In der Klasse darunter tut sich was
Auch in der Klasse darunter tut sich was: Dort, wo es bislang nur Renault Kangoo ZE und Nissan e-NV200 war, will künftig auch Mercedes strahlen und legt deshalb den Vito an die Leine. Limitiert auf 120 km/h, kommt der Gewerbe-Van nach Angaben des Herstellers auf eine Reichweite von 150 Kilometern. Und selbst der Urvater aller Transporter wird bald elektrisch: VW hat bereits angekündigt, dass es den elektrischen Retro-Bulli ID Buzz auch in einer gewerblichen Variante als Cargo geben soll und vor ein paar Wochen die entsprechende Studie dazu enthüllt, die bis 2021 in Serie gehen wird.
Entwicklung nicht zu stoppen
Es hat zwar etwas länger gedauert, doch aufzuhalten ist diese Entwicklung offenbar nicht mehr, glaubt Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer: «Grüne City-Logistik ist das große Thema. Was die Post mit Streetscooter begonnen hat, lässt sich nicht mehr zurückdrehen», sagt der Professor von der Universität Duisburg-Essen.
Rußende und lärmende Diesel-Transporter zerstörten das Bild von Amazon & Co: «So, wie vor 20 Jahren die Bioprodukte unsere Verbraucherwelt erobert haben, wird der leise und emissionsfreie Elektro-Transporter das Bild für nachhaltigen Online-Handel werden. Wer dann noch mit einem stinkenden Dieseltransporter durch die Wohnorte fährt, wird ausgemustert», sagt Dudenhöffer.
Die Elektrifizierung der leichten Nutzfahrzeuge treibt aber bisweilen seltsame Blüten und fördert ausgesprochen exotische Autos zutage – wie etwa bei Binz in Lorch. Der schwäbische Karosseriebauer rüstet das Model S von Tesla für einen Aufpreis von rund 100.000 Euro zu XL-Kombi um – und verkauft den elektrischen Luxusliner als Leichenwagen. Damit man zumindest bei der letzten Reise keine Emissionen mehr produziert.
(dpa/tmn)