Der 1992 lancierte Jaguar XJ220 enttäuschte am Ende allein den Hersteller: Mit Anleihen aus Sportwagen-WM und Rallye-Gruppe B war der XJ220 war eines der schnellsten straßenzugelassenen Fahrzeuge seiner Zeit.
In Sachen Länge und Radstand um 25 auf 493 beziehungsweise 264 cm verringert und anders als in den ersten Planungen ohne Allradantrieb sowie den massigen wie stattlichen V12, trat der XJ220 aber nicht als marginal modifizierter XJR-9 auf. Um dessen gestalterischen Einfluss wurde allerdings kein Hehl gemacht. Im Rücken der Passagiere donnerte statt des Zwölfenders der im Mini Metro 6R4 eingesetzte 3,5-l-V6, aber über zweier Turbolader auf 549 PS und 642 Nm gepusht. So ziemte es sich seinerzeit im Supersportwagen-Segment – die Konkurrenten Porsche 959 und Ferrari F40 gingen nicht anders vor. Ebenjenen Vorzeigeboliden beabsichtigte Jaguar nun mit namensgebenden 220 mph Vmax in die Parade zu fahren.
Als Stadtauto scheitert der Jaguar Youngtimer. Erfreulicherweise.
Der Lederknauf der Fünfgang-Schaltung will mit Kraft durch die Gassen geschoben werden, die Mehrscheiben-Rennkupplung steht zivilen Ampelstarts absolut entgegen. Los! Die Betonbahn des Flugplatzes Mendig wird beim Jaguar XJ220 Test in direkter Realtion zum Durchmarsch der Tachonadel enger. Und die marschiert zackig – der Biturbo dreht freudig hoch, der XJ220 versagt als Spielzeug und noch viel als Cityflitzer. Die Luft flirrt über der durchsichtigen Motorhaube vom Jaguar Sportwagen, gemächlich wandern will die Ladedruckanzeige nicht. Leider steckt sie mit drei weiteren Armaturen in der Türpappe und entzieht sich so Fahrers Blick recht erfolgreich.
Beim Jaguar XJ220 Test ist nach der Hälfte Schluss
Ist recht, nach schnellen 3,8 Sekunden ist der Sprint von 0 auf 100 erledigt, Tempo 200 liegt nach rund acht weiteren Sekunden an. Die angedachten 354 km/h gelangen dem XJ220 zwar nicht, fiel mit 213 mph, also 341 km/h – oder 349 km/h ohne Katalysatoren und modifiziertem Begrenzer – durch aus nicht als Schnecke auf. Beim Jaguar XJ220 Test mussten wir bei vergleichsweise milden 180 km/h Schluss machen, mehr gab die Piste nicht her. Mangelnder Grip musste am achten von zehn Prototypen nachdrücklich provoziert werden, die Pirelli P Zero Asimetrico in 275/45 R17 vorn und in feisten 345/35 R18 hielten das 1.372-kg-Coupé auf dem Pfad der Tugend.
Grip fehlt im XJ220 allein auf den Sitzen
Das Heck bricht nur auf ausgemachten Zwang aus, das FIA Gruppe C-taugliche, hart gehaltene Doppelquerlenker-Fahrwerk mit innen verbauten Schraubenfedern und Bilstein-Stoßdämpfern sowie die Zahnstangen-Lenkung machte Kurven zum Vergnügen. Nicht vollends überzeugen konnten die mit Glattleder gepolsterten Sitzschalen Schalensitze, dem herumrutschenden Beifahrer wären Hosenträgergurte sehr zupass gekommen. Schweißperlen auf der Stirn waren dennoch ungerechtfertigt: Gegen Hitze von hinten wie von oben verfügt das 114 cm flache Jaguar Coupé serienmäßig über eine Klimaanlage.
Im Jaguar Sportwagen herrscht Ruhe
Die zurückhaltend gestaltete Innenausstattung punktet mit vorbildlicher Verarbeitungsgüte und – ausgenommen der Teile aus dem Ford-Regal – feinen Werkstoffen. Ja, die Armaturen vom Jaguar Youngtimer wirken alles andere als pfiffig oder innovativ, sind jedoch tadellos ablesbar. Zudem ist die Kabine bestens geräuschgedämmt, das heisere Grollen ist den Zuschauern des PS-Spektakels reserviert. Doch dieses Schmankerl dürfen nur besonders glückliche Zeitgenossen genießen, da der damals ab 290.000 Pfund verfügbare Jaguar XJ220 bis 1994 rezessionsbedingt gerade mal 277 Kunden verführte.
Bilder ©Arild Eichbaum